Dirk-Boris Rödel ist so etwas wie der Dad der deutschen Tätowier-Szene. Jemand, den man alles fragen kann, der gefühlt immer da war und der die Größten der Körperkunst-Welt schon unterstützt hat, als sie noch ganz kleine Fische waren. Vor einigen Jahren lernte ich Dirk-Boris als Chefredakteur des TätowierMagazins kennen. Das gibt es inzwischen nicht mehr. Der Tattoo-Journalist und Veranstaltungsmoderator ist dagegen präsent wie eh und je. KinKats traf ihn zum Interview.
Von Mimi Erhardt
Lieber Dirk-Boris, wir beide waren tatsächlich mal Kollegen, das heißt du warst mein Chefredakteur, als ich eine zeitlang Kolumnen für das TätowierMagazin geschrieben habe. Um die Zusammenarbeit mit einem Interview zu besiegeln, waren wir damals im „White Trash“ in Berlin Burger essen, wenn ich mich recht entsinne. Welchen Burger würdest du jetzt in diesem Moment bestellen?
Dirk-Boris Rödel: „Ich glaub, ich hab dich zunächst im ,White Trash‘ zu deinem Blog ,Mimi und Käthe‘ und dem damals frisch erschienen Buch von dir interviewt, und im Anschluss daran ergab sich dann die Zusammenarbeit fürs TätowierMagazin, war’s nicht so?“
Stimmt! So war‘s! Das ist einfach schon zu lange her …
Dirk-Boris Rödel: „Aber wahrscheinlich haben wir da tatsächlich Burger gegessen, auch wenn ich gar nicht so der Burger-Fan bin. Ich mag aber tatsächlich ganz gern die Cheeseburger von Meckes. Die schmecken gar nicht schlecht, und sie sind so groß, dass man sie essen kann, ohne sich komplett damit einzusauen.“
Genug von Essen, ich werd‘ sonst hungrig. Sprechen wir über Tätowierungen, immerhin gehörst du zu den bekanntesten Experten für Tätowierungen Deutschlands. Würdest du dich selbst so bezeichnen? Oder doch eher als Fan? Oder Kenner?
Dirk-Boris Rödel: „Ich glaub, bei aller Bescheidenheit, Experte passt schon ganz gut – ich hab die Entwicklung der Tattoo-Szene in Deutschland und auch international seit 35 Jahren beobachtet, mitverfolgt und journalistisch begleitet, hab mich im Rahmen meines kulturwissenschaftlichen Studiums mit verschiedensten Aspekten der Tätowierkunst befasst, einige Bücher zum Thema geschrieben, hab an Fernseh-Dokumentationen über Tattoos mitgewirkt, unzählige Tattoo-Events moderiert und war last not least 20 Jahre Chefredakteur des TätowierMagazins – ich glaub, wenn ich darauf basierend einen gewissen Expertenstatus für mich beanspruche, dann geht das bestimmt in Ordnung.“
Dirk-Boris Rödel: „Die Arbeit als Chefredakteur des TätowierMagazins hatte für mich immer zwei Seiten. Zum einen ermöglichte mir der Job, dass ich mich beruflich mit einem meiner Lieblingsthemen befassen durfte. Ich konnte deutsche und internationale Tattoo-Conventions besuchen, interessante Leute kennenlernen und Freundschaften schließen – wie eingangs erwähnt, auch unsere Verbindung verdanke ich ja letztlich meinem damaligen Beruf – aber auf der anderen Seite war ich eben Angestellter in einem Verlag mit größtenteils inkompetenten und unfähigen Geschäftsführern und toxischer Verlagsstruktur. Irgendwann ging’s dann nicht mehr, und ich hab mich als Veranstaltungs-Moderator selbstständig gemacht. Und als Moderator von Tattoo-Conventions kann ich jetzt der Tattoo-Szene verbunden bleiben, bin aber mein eigener Chef.“
Apropos Tattoos. Die japanische Tätowierkunst begeistert dich seit Jahrzehnten. Was genau ist daran so faszinierend?
Dirk-Boris Rödel: „Ich kam 1991 zum ersten Mal mit der japanischen Tätowierkunst in Kontakt, als ich mehr durch Zufall während eines Japanaufenthalts Horiyoshi III kennenlernte, einen Tätowier-Großmeister aus Yokohama. Ich hatte zu der Zeit selber gerade mal ein handflächengroßes Tattoo auf dem Oberarm, einen Drachen, und diese kompletten Ganzkörper-Tätowierungen haben mich damals komplett geflasht, so etwas hatte ich vorher noch nie gesehen. Traditionelle japanische Tätowiermeister gab es zu dieser Zeit auch nur noch wenige in Japan, es war ein Kunsthandwerk, das damals kurz vorm Aussterben war.
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Ich studierte damals bereits Japanologie und dachte, es ist wichtig, diese faszinierende Kunst im Rahmen meines Studiums zu dokumentieren. Ich machte daraufhin einige weitere Tätowiermeister in Tokyo, Osaka und Nagoya ausfindig, interviewte sie und dokumentierte ihre Arbeiten. Das war in den 90ern alles nicht so einfach; die wenigen traditionellen Tätowiermeister, die damals noch aktiv waren, waren größtenteils in der einen oder anderen Weise mit der Yakuza, der japanischen Mafia verbunden. Schließlich schrieb ich meine Magisterarbeit über die Entwicklung der japanischen Tätowierkunst während der japanischen Feudalzeit und publizierte diese einige Jahre später in Buchform unter dem Titel ,Alles über japanische Tätowierungen‘, was nach wie vor als Standardwerk über japanische Tätowierkunst gilt.“
Dirk-Boris Rödel: Wie funktioniert Entwicklung ohne Tradition?
Wenn man sich die moderne Tätowier-Szene anschaut, scheint es, als würden Traditionen immer mehr in Vergessenheit geraten, vor allem bei sehr jungen Menschen. Wie siehst du diese Entwicklung?
Dirk-Boris Rödel: „Ich bin da ein bisschen zwiegespalten. Ich denke, man kann ein super Tätowierer sein und schöne Tattoos stechen, selbst wenn man noch nie etwas von Sailor Jerry Collins, Jack Rudy, von Filip Leu oder Herbert Hoffmann gehört hat. Es ist nicht zwingend notwendig, sich mit der Tradition und Geschichte dieser Handwerkskunst zu befassen, um sie auszuüben. Aber zum einen finde ich gerade Tattoo-History wahnsinnig spannend und interessant, und zudem kann man auch als heutiger Tätowierer viel lernen von dem, was vorige Tätowierer-Generationen geschaffen haben. Insofern finde ich es schon sinnvoll, sich mit diesen Traditionen zu befassen und würde es jedem empfehlen, der tätowiert.“
In den letzten Jahren warst du auch wieder als Buchautor tätig?
Dirk-Boris Rödel: „Ja, aber im Gegensatz zu den Sachbüchern über Tätowierungen, die ich früher während meiner Zeit als Chefredakteur beim TätowierMagazin geschrieben habe, habe ich in den letzten Jahren zwei Bücher mit mystisch-magischen Kurzgeschichten geschrieben; über Hexen, Kobolde und Geister, über Unsterbliche und alte Götter oder über alte Flüche und Zauber – ein Hobbyprojekt, für das ich jetzt endlich Zeit hatte und das viel Spaß gemacht hat. Das erste Buch heißt ,Liber Thanatamor – Das Buch von Tod und Liebe‘, das zweite hat den Titel ,Das siebente und letzte Pentakel des Jupiter‘.
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Aber du bist sozusagen hauptberuflich immer noch dem Tattoo-Bereich verbunden, und man trifft dich nach wie vor regelmäßig auf Tätowiermessen an?
Dirk-Boris Rödel: „Ja, auch wenn ich inzwischen in vielen Bereichen künstlerisch tätig bin und diesen Seiten und Neigungen auch durch meine Selbstständigkeit mehr Zeit und Raum geben kann, bin ich auf alle Fälle nach wie vor eng mit der Tattoo-Szene verbunden, allein durch meine Tätigkeit als Convention-Moderator. Da hab ich inzwischen einige sehr schöne und gut organisierte, qualitativ hochwertige Veranstaltungen im Portfolio, die ich moderationstechnisch betreue und bei denen ich mich vor allem mit den Organisatoren und Veranstaltern sehr gut verstehe. Man muss immer bedenken, Arbeitszeit ist Lebenszeit, die sollte man nicht mit Leuten vergeuden, mit denen man eigentlich überhaupt nichts zu tun haben will, nur weil sie einem Geld dafür geben, sondern nur mit Menschen, die einen auch nicht-materiell bereichern und die einem gut tun.“
Wie definierst du deine Rolle als Veranstaltungsmoderator?
Dirk-Boris Rödel: „Moderation, insbesondere auf einer Tattoo-Convention, ist für mich auf alle Fälle mehr als einfach nur den nächsten Programmpunkt anzumoderieren. Ich seh das so: Früher hatte ich das TätowierMagazin, um in meinen Artikeln und Interviews Wissen zum Thema Tattoo zu vermitteln. Heute mach ich diese Wissensvermittlung auf der Bühne mit dem Mikro. Ich kann da den Leuten erklären, woran sie ein gutes Tattoo-Studio erkennen und wie sie am besten ihr Tattoo-Motiv wählen. Ich kann erklären, nach welchen Kriterien eine Jury beim Tattoo-Contest die Tätowierungen der Teilnehmer bewertet, und so weiter. Ich versuche natürlich zum einen, die Besucher zu unterhalten, ihnen aber auch zum anderen Informationen und Einblicke mitzugeben, mit denen sie auch nach der Convention wirklich praktisch etwas anfangen können. Ich hab ja in 35 Jahren in der Tattoo-Szene jede Menge Erfahrungen gemacht, Wissen angehäuft… und das kann ich da mit den Besucher und Tätowierern teilen. Oft haben mir auf den Conventions abends Kunden und Tätowierer erzählt, wie interessiert sie meinen Erzählungen während des Tätowierens gelauscht haben, für viele ersetzt das dann sozusagen das Hörbuch während der Tattoo-Session.“
Hast du selbst weitere Tattoo-Pläne für dich?
Dirk-Boris Rödel: „Ich bin eigentlich so ziemlich durch mit meinen Tattoo-Projekten; neulich hab ich mir noch von Lisa vom Nightchild Tattoo in München etwas kleines stechen lassen, das war vielleicht mein letztes Tattoo.“
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Was macht dich als Mensch einzigartig?
Dirk-Boris Rödel: „Nix. Alles. Jeder Mensch ist einzigartig – es ist für mich nichts Besonders oder Erstrebenswertes, einzigartig zu sein, eben weil das eh jeder von Natur aus schon ist. Dazu braucht man weder Tattoos noch Fame oder Geld… Ich glaub, wichtiger, als einzigartig zu sein, ist, ein guter Mensch zu sein, moralisch zu handeln, nicht egoistisch, neidisch und selbstsüchtig zu sein, anderen zu helfen. Wo ich da auf diesem Spektrum einzuordnen bin, das weiß ich nicht, aber ich versuche zumindest, mein Leben nach diesen Idealen und Wertvorstellungen auszurichten, so gut ich es vermag.“
Wenn dein Leben ein 90er-Jahre-Highschool-Film wäre – welche Rolle wäre deine?
Dirk-Boris Rödel: „Puh, da bin ich komplett überfragt! Ich hab keine Ahnung, das kann ich echt nicht beantworten. Ich könnte höchstens zu diesem Thema sagen, dass es ein noch unerfüllter Lebenstraum von mir ist, irgendwann mal Shakespeares Macbeth zu spielen:
,Aus! Aus, kleines Licht!
Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
sein Stündchen auf der Bühn‘,
und dann nicht mehr vernommen wird.
Ein Märchen ist’s, erzählt von einem Dummkopf,
voller Klang und Wut, und bedeutet – nichts.‘“
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